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IRRTUM: Der Transfer von Spitzenspielern wird durch Trikotverkäufe refinanziert

 Wann immer ein Verein einen Spitzenspieler für eine absurd hohe Summe einkauft, macht die Behauptung die Runde, die Transferkosten seien kein Problem – allein die zusätzlichen Trikotverkäufe würden das Geld wieder einspielen. Das wird durchaus nicht nur von Fans in sozialen Netzwerken verbreitet; auch in den Sportmedien findet sich diese Ansicht, und sogar aus dem Vorstand des ein oder anderen Vereins ist bisweilen zu hören, Kritik an den teuren Transfers sei wegen der Trikoteinnahmen unangebracht.

In Deutschland war die Rechnung zuletzt im Zusammenhang mit dem Transfer von Harry Kane zu Bayern München vermehrt zu lesen. Aber stimmt das? Hat Harry Kane seine Kosten bereits durch die Trikotverkäufe wieder eingespielt oder ist zumindest zu erwarten, dass er das jemals tut?

Viele Laien haben eine völlig falsche Vorstellung davon, was ein Verein an einem Trikot verdient. Derzeit kostet das Trikot von Bayern München 99,95 €. Diese landen aber nicht komplett bei Bayern München. Wird das Trikot bei einem unabhängigen Händler, etwa bei Karstadt Sport, verkauft, dann verdient der Verein lediglich etwa fünf Euro Lizenzgebühr daran – der Rest des Geldes fließt an den Hersteller, den Zwischenhändler, den Vertrieb, den Lieferanten etc. Ein Trikot, das im vereinseigenen Fanshop oder über den Onlineshop verkauft wird, bringt etwas mehr ein, weil der Zwischenhändler wegfällt – dann kommen rund 20 Euro zusätzlich dazu[1]. Von diesen muss man natürlich wieder einen Teil für die Betriebskosten des Fanshops abziehen…

Im November 2023 schätzte die Marketingabteilung des FC Bayern, dass in der Saison etwa 100.000 Trikots mit dem Namen und der Nummer von Kane verkauft werden würden[2] (aktuelle Zahlen waren nicht zu bekommen). Das wäre der bisherige Rekord an Trikotverkäufen eines einzelnen Bayernspielers. Aber bei 100.000 verkauften Trikots kommen bestenfalls zweieinhalb Millionen Euro in die Bayernkasse, vermutlich deutlich weniger – weit entfernt von den rund 100 Millionen Euro, die Kane gekostet hat. Kane müsste demnach mindestens 40 Jahre lang jedes Jahr so viele Trikots verkaufen, um allein seine Transferkosten wieder einzuspielen, von den Gehaltskosten ganz zu schweigen.

Natürlich werden auch einige Trikots ohne Namen und Nummer wegen Kane verkauft worden sein, aber keinesfalls genug, um die Diskrepanz auszugleichen (zumal man umgekehrt ja auch bedenken muss: So mancher Fan, der ein Kane-Trikot kaufte, hätte vermutlich einfach ein Bayern-Trikot mit anderem Namen gekauft, wenn Kane nicht gekommen wäre).

Selbst wenn wir den absoluten Idealfall zu Gunsten der „Kane gleicht seine Kosten durch Trikotverkäufe aus“-These annehmen, geht die Rechnung nicht auf:

Angenommen, Bayern hat in der ersten Kane-Saison 2023/2024 den bisherigen Trikot-Verkaufsrekord der Vereinsgeschichte eingestellt (3,25 Millionen Trikots[3]), jedes dieser Trikots wurde über den Fanshop verkauft (und bringt den Maximalgewinn von 25 €) und kein einziges Trikot wäre ohne Kane verkauft worden (so dass der gesamte Gewinn seinem Transfer gutzuschreiben ist) – dann hätte der Kane-Transfer über Trikots 81,25 Millionen Euro eingespielt, immer noch weniger als die Transfersumme.

Eine Refinanzierung des Kane-Transfers über Trikotverkäufe ist absolut unrealistisch.

 

Auch bei anderen Spielern, für die solche Rechnungen aufgemacht wurden, hat das in Wirklichkeit nicht funktioniert. Messi, Ronaldo und Beckham haben ebenfalls nie ihre Kosten über Trikotverkäufe wieder eingespielt. Das ist schlicht nicht realistisch möglich[4] [5].



[1] Nier, Hedda: Wer verdient am Trikot?, 19.06.2018 https://de.statista.com/infografik/14313/preiszusammensetzung-trikot/

[4] Sackmann, Christoph: Finger weg von Ronaldo: Warum sich Mega-Transfers für Fußball-Clubs nie lohnen, 11.07.2017 https://m.focus.de/finanzen/news/ein-reines-verlustgeschaeft-finger-weg-von-ronaldo-warum-sich-mega-transfers-fuer-fussball-klubs-nie-lohnen-id_7336455.html

 

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