Direkt zum Hauptbereich

IRRTUM: Eine Mannschaft oder ein Spieler, die "einen Lauf" haben, sind besonders gefährlich

 Der sogenannte „Lauf“, die Erfolgssträhne, gehört zu den ganz festen Vorstellungen aller Fußballfans. Ein Stürmer, der in den letzten Spielen getroffen hat, hat einen solchen Lauf, er ist auch im kommenden Spiel gefährlicher als normalerweise. Auch Mannschaften haben einen Lauf – auf zwei Siege in Folge wird bestimmt der dritte folgen.

Schauen wir uns zuerst die Frage an, ob ein einzelner Stürmer einen „Lauf“ haben kann. Die erste Studie zu diesem Thema legte der Psychologe Thomas Gilovich 1985 vor. Er hatte die Überzeugung von der sogenannten Hot Hand, der „heißen Hand“, im Basketball untersucht. Man ging seinerzeit davon aus, dass ein Basketballspieler, der den letzten Freiwurf im Korb versenkt hatte, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit hat, auch mit dem nächsten Freiwurf zu punkten. Obwohl die Mehrheit der Spieler, Trainer und Fans davon überzeugt war, konnte Gilovich nachweisen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Treffers nicht durch vorherige Erfolge beeinflusst wurde. Die Trefferserien, die den Mythos befeuerten, waren zufällige statistische Häufungen, die von den Fans zu Unrecht in einen Kausalzusammenhang gestellt wurden. Dieses Phänomen ist seither als Hot-Hand-Fallacy, „Denkfehler von der heißen Hand“ bekannt[i]. Die Studie schockierte die Sportwelt geradezu, Gilovich wurde sogar angefeindet – und schnell fanden sich Experten, die behaupteten, das möge vielleicht im Basketball so sein, aber den Lauf im Fußball gäbe es definitiv. Doch schon die erste Studie zum Thema, die in den 90er Jahren in der englischen Premier League durchgeführt wurde, brachte das gleiche Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit eines Treffers wurde durch Erfolge in vorhergehenden Spielen nicht verändert[ii]. Seither wurde das immer wieder bestätigt. Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass es aus einigen anderen Sportarten mittlerweile Hinweise darauf gibt, dass Läufe doch möglich sind – vielleicht ändern sich die Erkenntnisse hierzu im Fußball auch noch einmal…

Und wie sieht es mit dem Mannschaftslauf aus, der Gewinnsträhne? Auch hier gilt: Der Positivlauf existiert nicht. Andreas Heuer wertete 2012 die Daten aus 22 Jahren Bundesliga aus und kam zu dem Ergebnis: Unerwartete, längere Siegesserien sind viel seltener als gemeinhin angenommen und kommen ebenfalls durch zufällig Häufung zustande, nicht durch einen „Lauf“. Allerdings konnte Heuer Hinweise auf die Existenz von Negativserien finden – mehrere Niederlagen in Folge scheinen Teams tatsächlich in eine Abwärtsspirale zu stürzen[iii].



[ii] Memmert, Daniel, Bernd Strauss, Daniel Theweleit: Der Fußball Die Wahrheit. München 2013. S. 90ff.

[iii] Ebd.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

IRRTUM: Während des Weihnachtsfriedens schlug ein deutsches Team ein englisches (Weihnachtsspezial 2)

  Es ist eine Geschichte, fast zu kitschig, um wahr zu sein: Weihnachten 1914, im ersten Jahr des Ersten Weltkrieges, verbrüderten sich zumindest mancherorts die deutschen und englischen Soldaten (und einige Franzosen), die sich in den Schützengräben gegenüberlagen, spontan. Entgegen ihren Befehlen verließen sie ihre Stellungen, sangen und feierten gemeinsam im Niemandsland, tauschten Rationen und Ausrüstung – und spielten auch Fußball. Bis dahin stimmt das alles. Es mag ein bisschen merkwürdig anmuten (und ist vielleicht der deutsch-englischen Fußballrivalität geschuldet), dass bei einer Geschichte um Versöhnung und internationale Verständigung so viel darüber gesprochen wird, wer dieses Fußballspiel denn nun gewonnen hat. In Deutschland wird durchgängig von einem deutschen Sieg ausgegangen, in England gibt es sowohl Überlieferungen, nach denen die Deutschen am Ende die Nase vorn haben, als auch solche, in denen die Engländer siegen. Aber alle, die von dem deutschen oder engli...

IRRTUM: Eine Doppelbestrafung (Rote Karte und Elfmeter für ein Foul) ist verboten

 Vor ein paar Tagen hatte die deutsche Frauennationalmannschaft bei der Europameisterschaft einen herben Rückschlag zu beklagen: Das letzte Vorrundenspiel gegen Schweden ging mit sage und schreibe 1:4 verloren. Ein Aspekt des Debakels: Beim Stand von 1:2 klärte Abwehrspielerin Carlotta Wamser einen Torschuss mit der Hand auf der deutschen Torlinie – Platzverweis für Wamser und Elfmeter für Schweden. Fridolina Rolfö verwandelte zum 3:1 aus schwedischer Sicht. Und in Deutschland gab es einen Aufschrei. Denn man wurde ja doppelt bestraft – mit einer roten Karte und einem Elfmeter! Und ist nicht die Doppelbestrafung (manchmal auch als Dreifachbestrafung bezeichnet, weil ja auch noch eine Sperre für den Rotsünder folgt) heutzutage verboten?   Nein. Die so oft diskutierte „Abschaffung der Doppelbestrafung“ bezieht sich auf eine ganz bestimmte Situation, nämlich auf die sogenannte Notbremse. Eine Notbremse liegt vor, wenn eine direkte Torchance durch ein Foul vereitelt wird. Bi...

IRRTUM: Jesus und seine Jünger waren die ersten Fußballer (Weihnachtsspezial 1)

 Okay, natürlich glaubt niemand wirklich, dass Jesus und seine Jünger die erste Fußballmannschaft waren. Aber ein beliebter Witz behauptet, eine Bibelstelle lege diese Interpretation nahe. Denn schließlich heißt es in der Heiligen Schrift: "Jesus stand im Tor von Nazareth, und die Jünger standen Abseits". Witzig. Aber nur, wenn sich dieses Zitat oder zumindest ein ähnliches tatsächlich in der Bibel findet. Doch das ist leider nicht der Fall. Die vermeintliche Bibelstelle ist frei erfunden [i] .  Auch ein zweiter populärer Bibel-Fußballwitz teilt dieses Schicksal:   Die deutsche Nationalmannschaft wird schon in der Bibel erwähnt! Denn dort heißt es: „Sie trugen seltsame Gewänder und irrten planlos umher.“   Aber auch dieses vermeintliche Bibelzitat ist keines. In diesem Fall gibt es aber tatsächlich eine echte Bibelstelle als möglichen Hintergrund. Denn in Jeremia 50,6 steht geschrieben: „…ihre Hirten führten sie in die Irre, trieben sie ziellos in die...