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IRRTUM: Mit Libero kann man nichts mehr gewinnen

 Der Libero, eine Spielposition, die in den 1970ern perfektioniert wurde und nicht nur in Deutschland vor allem mit Franz Beckenbauer verbunden wird, ist heute fast ausgestorben. Es handelt sich dabei um einen freien Abwehrspieler hinter der eigentlichen Abwehrreihe (zu Hochzeiten des Liberos meist aus zwei oder drei Vorstoppern bestehend), der vor allem eine letzte Verteidigungslinie darstellt, sich aufgrund seiner frei interpretierten Rolle aber auch in die Offensive einschalten kann. Wer heute noch mit Libero antritt, muss sich schnell den Vorwurf des antiquierten Fußballs gefallen lassen; das lange Festhalten an der Spielweise mit Libero (im Gegensatz zur „modernen“ Viererkette) wird oft für das desaströse Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft bei der EM 2000 verantwortlich gemacht. Allgemein wird davon ausgegangen, dass eine Mannschaft mit Viererkette einer Mannschaft mit Vorstoppern und Libero grundsätzlich überlegen ist und mit Libero zu spielen auf keinen Fall erfolgreich sein kann.

Dabei wird gerne vergessen: Bis heute hat niemand einen überzeugenden Grund vorgelegt, warum eine Viererkette so eindeutig überlegen sein soll. Auch statistisch ist niemals ein Beweis für die Mangelhaftigkeit des Libero-Systems präsentiert worden.

1990, als bereits fast alle Teams mit Viererkette spielten, wurde Deutschland mit Libero Weltmeister, 1996 gewann man ebenso die Europameisterschaft. 2001 gewann Bayern München mit einem völlig „veralteten“ System die Champions League – Libero Patrick Anderson wurde von zwei klassischen Vorstoppern unterstützt. 2004 war Libero Traianos Dellas der prägende Mann bei Griechenlands sensationellem EM-Triumph, und 2006 wurde Ägypten mit einem Libero Afrikameister. Wenn man berücksichtigt, wie wenige Mannschaften überhaupt noch einen Libero aufbieten, ist das doch eine recht beeindruckende Statistik, die die generalisierende Behauptung, mit Libero könne man nichts erreichen, zweifellos in Frage stellt…

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