Vielen Fans und auch Freunden kurioser historischer Fakten ist der Begriff des „Fußballkriegs“ vertraut. In den 60ern seien die Ausschreitungen rund um das entscheidende WM-Qualifikationsspiel zwischen Honduras und El Salvador derart eskaliert, dass sich die Länder den Krieg erklärten.
Tatsächlich spielten Honduras und El Salvador im Juni 1969 um die WM-Teilnahme; El Salvador setzte sich nach der dritten Partie (damals gab es bei Gleichstand kein Elfmeterschießen, sondern ein Wiederholungsspiel) durch und fuhr zum Turnier in Brasilien. Tatsächlich waren die Spiele von gewalttätigen Ausschreitungen begleitet, und tatsächlich brach kurz nach dem letzten Spiel Krieg zwischen den beiden Ländern aus.
Doch weder war das Fußballspiel der Auslöser des Konflikts, noch war das Ganze eine lustige Angelegenheit, die in Kuriositätenlisten zum Schmunzeln gut aufgehoben ist.
In den 60er Jahren flüchteten viele verarmte Bauern aus dem armen und überbevölkerten El Salvador in das etwas besser dastehende und vor allem viel dünner besiedelte Honduras und ließen sich dort illegal nieder. Für El Salvador ein gutes Ventil, den Bevölkerungsdruck ein bisschen zu entlasten, für Honduras hingegen natürlich inakzeptabel. Im April 1969 wurde in Honduras eine Agrarreform beschlossen, die die einheimischen Kleinbauern fördern sollte. Die salvadorianischen Einwanderer störten nun noch mehr und bekamen ein Ultimatum gestellt: Binnen 30 Tagen sollten sie nach El Salvador zurückkehren. El Salvador, das die rund 300.000 Menschen nicht wieder aufnehmen wollte, antwortete mit Drohungen, es entwickelte sich ein wochenlanger Propagandakampf. Wenig verwunderlich, dass in diesem Klima auch das Fußballduell entgleiste – das war aber Symptom des Konflikts, nicht die Ursache. Nach dem letzten Spiel dauerte es immerhin noch 17 Tage bis zum Kriegsausbruch, auch die Behauptung, die Spiele seien der entzündende Funke gewesen, ist nicht nur deshalb bestenfalls umstritten[i]. Der Krieg dauerte nur vier Tage, dann endete er in einem Patt, nachdem die anderen Staaten Mittelamerikas durch wirtschaftlichen Druck einen Waffenstillstand erzwungen hatten. Trotzdem kostete der gerne als lustige Hinterwäldler-Posse dargestellte Konflikt über 2000 Menschenleben[ii].
In dem großen Mythos vom „Fußballkrieg“ steckt im Übrigen noch ein kleiner Mythos: Der polnische Journalist Ryszard Kapuscinski, dessen Berichte entscheidend für das heutige Bild vom „Fußballkrieg“ waren, erzählte auch die Geschichte von Amelia Bolanos. Die 18-jährige Salvadorianerin Bolanos habe sich, als in der ersten Fußballpartie das Siegtor für Honduras fiel, vor dem Fernseher erschossen. Die Zeitung El Nacional habe sie daraufhin als Märtyrerin gefeiert, ihre Beerdigung sei ein regelrechter Staatsakt mit zahlreichen Gästen aus der Politik gewesen, die Nationalspieler hätten ihren Sarg getragen. Die Geschichte schafft es noch heute immer wieder in die Fachliteratur, doch sie ist wohl von Kapuscinski frei erfunden worden: Als Journalisten der Sache in den frühen 2000er Jahren nachgingen, konnten sie keinen Hinweis auf die Existenz einer Amelia Bolanos oder einer Zeitung El Nacional finden; in der fraglichen Nacht war nirgendwo ein Selbstmord gemeldet worden, und an die sagenumwobene Beerdigung konnten sich weder damalige Nationalspieler noch Politiker erinnern[iii].
Interessante und unterhaltsame Seite.
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