Die Frage, wie die Fußballgeschichte wohl verlaufen wäre, wenn einige der ganz großen Namen bei anderen Vereinen gelandet wären, fasziniert die Fußballfans weltweit, und so finden sich über zahlreiche Fußballer Anekdoten von geplatzten Wechseln, missglückten Probetrainings und dem Lieblingsverein aus der Kindheit, dem im entscheidenden Moment wegen einer kleinen Kränkung abgeschworen wurde.
Eine der bekanntesten unter diesen Anekdoten in Deutschland ist die von Gerd Müllers Beinahe-Wechsel zu 1860 München. Man liest sie in zahlreichen Büchern und auf noch mehr Websites als Tatsache, und sie geht etwa so:
Gerd Müller, damals großer Star des FC Nördlingen, wollte 1964 den Schritt in den Profifußball wagen. Besonders angetan hatte es ihm der Bundesligist 1860 München. Schnell war man sich über einen Vertrag einig, und eines schönen Mittags kurz vor Saisonbeginn erwartete Müller die Vertreter der 60er mit dem unterschriftsbereiten Vertrag bei sich zu Hause. Die Herren mit dem Vertrag waren überpünktlich, Müller unterschrieb – und sah die Vereinsvertreter zu seiner Überraschung aus der Hintertür flüchten. Im selben Moment kamen die echten Vertreter von 1860 München zur Vordertür herein – und Müller musste feststellen, dass man ihn übertölpelt und er soeben einen Vertrag beim damaligen Zweitligisten FC Bayern München unterschrieben hatte.
Eine lustige Geschichte, aber natürlich ist sie nicht wahr – ebenso wenig wie die andere verbreitete Müller-Anekdote, er habe zum 1. FC Nürnberg gewollt, der habe ihn aber abgelehnt, weil es bereits zwei Müllers im Kader gab…
Wie Müller-Biograf Hans Wollner darlegt, traf Müller sehr bewusst die Entscheidung für Bayern München. Es lag zwar ein Angebot von 1860 vor, doch Müller wusste, dass er der vierte Amateurspieler wäre, den die 60er in dieser Saison unter Vertrag nehmen würden. Da der DFB damals nur drei solcher Transfers pro Saison erlaubte, hätte Müller daher noch ein Jahr als unbezahlter Amateur in der Reservemannschaft spielen müssen. Darüber hinaus war 1860 seinerzeit ein begehrter Spitzenklub mit zahlreichen Nationalspielern im Kader – Müller hätte sich also nach Absitzen seiner Amateurzeit gegen starke Konkurrenz durchsetzen müssen. Bayern München hingegen bot einen Halbprofivertrag mit sofortigem Einsatz im ersten Kader sowie deutlich weniger Konkurrenz im Angriff, und so schlug Müller logischerweise dort zu…
Quelle: Wollner, Hans: Gerd Müller oder Wie das große Geld in den Fußball kam. München 2019, S.28-30
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