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KOMMENTAR: Zehn Irrtümer, die mich überrascht haben

 Herzlich Willkommen zur neuen Artikel-Kategorie im Online-Lexikon der Fußballirrtümer: Mit unserem 150. Artikel starten die Kommentare, in denen wir nicht einem Irrtum detailliert nachgehen, sondern allgemeiner über das Thema „Irrtümer im Fußball“ reden. Freut euch auch auf einige spannende weitere neue Kategorien im Laufe des Jahres!

150 Artikel sind seit heute online in unserem Lexikon der Fußball-Irrtümer – 149mal haben wir uns hinter berühmte Behauptungen aus der Welt unseres Lieblingssports geklemmt, recherchiert und herausgefunden, dass oft alles ganz anders ist, als der Stammtisch denkt.

Dabei bleibt nicht aus, dass auch wir so manches Mal staunen und sicher geglaubtes Wissen revidieren müssen. Zur Feier der schönen runden Artikelzahl werfe ich also heute einen Blick zurück auf unsere bisherigen Artikel und stelle die zehn Richtigstellungen vor, die mich persönlich am meisten überrascht haben.

10: Die Zeitungen machten aus Englands 0:1 gegen die USA ein 10:1

Okay, zugegeben – die Geschichte kam mir von Anfang an ein bisschen komisch vor, und das war letztlich natürlich auch der Grund, warum wir nachgehakt und uns die Zeitungsartikel von jenem Tag im Jahre 1950 genauer angesehen haben. Aber ich war überzeugt, dass wir zumindest auf einen wahren Kern stoßen würden – eine frühe falsche Eilmeldung, eine einzelne bekannte Zeitung mit dem falschen Ergebnis, vielleicht wenigstens eine Zeitung, die satirisch mit einem 10:1 titelte? Doch weit gefehlt. Am Morgen nach dem blamablen WM-Spiel im fernen Brasilien wusste ganz England, dass die heimische Auswahl mit 0:1 verloren hatte; einer der bekanntesten Fußball-Fun Facts hat keine Basis in der Realität. 

9: Ein vom Pfosten abprallender Elfmeter darf vom Schützen im Nachschuss verwandelt werden

Ich trainiere eine Mädchenfußball-Mannschaft. Im Frühling dieses Jahres hatten wir ein wichtiges Turnier zu bestreiten, und in einem Spiel bekamen wir einen Handneunmeter zugesprochen – eine klare Sache: Die gegnerische Torhüterin hatte den Ball einer Mitspielerin in die Hand gegeben, damit die den Abschlag für sie ausführte… Unsere Stamm-Neunmeterschützin fehlte verletzt, die Nummer 2 war gerade nicht auf dem Platz, also entschied ich spontan, dass Helena schießen sollte, die einen ordentlichen Bumms in ihre Schüsse packen kann. Helena nahm Anlauf und donnerte den Ball – an die Latte. Von dort prallte er ab, Helena wieder vor die Füße, doch als die einen Nachschuss abgab, pfiff der Schiedsrichter ab und erteilte Freistoß für die Gegnerinnen. Ich war mindestens ebenso baff wie Helena, und in dem gesitteten Ton, den man in so einem Fall natürlich anschlägt, forderte ich den Schiedsrichter freundlich auf, seine Entscheidung zu rechtfertigen. Der Schiedsrichter erklärte mir ruhig, dass er keinesfalls ein „Affe“, ein „Idiot“ oder ein „Schieber“ sei, sondern die Ausführungsvorschriften für Elfmeter (und damit auch Neunmeter) besagten, dass der Schütze den Ball nicht zweimal in Folge berühren darf – auch nicht, wenn dazwischen ein Pfostentreffer liegt. Diese Regel war mir bis dahin völlig unbekannt, und ich hatte es auch schon anders erlebt, also schlug ich zu Hause nach – und wenige Tage darauf landete ein neuer Artikel im Blog…

8: Ein koreanischer Spieler wurde von seinem italienischen Verein gefeuert, als er bei der WM gegen Italien traf

Die WM 2002 war meine große WM, das erste Turnier, das ich geradezu religiös verfolgte. Ich saugte damals jeden Fernsehbericht, jeden Zeitungsartikel auf, war ein wandelndes Lexikon der kuriosen WM-2002-Fakten. Bis heute kann ich die Rückennummern der irischen Nationalelf auswendig aufsagen und benutze sie, um mir wichtige Nummern zu merken. Jedenfalls erinnere ich mich auch lebhaft an den Skandal um den Südkoreaner Ahn Jung-Hwan, der Italien aus dem Turnier schoss und daraufhin auf der Stelle von seinem damaligen Verein Perugia gefeuert wurde. So stand es auch Jahre später noch in WM-Rückblicken, und so war ich gelinde gesagt überrascht, als ich erfuhr, dass die Sache etwas komplizierter war und Perugia am Ende sogar versuchte, Ahn gegen seinen Willen zu halten…

7. Der Doppelpass ist ein wichtiges Mittel zum Erfolg

Dazu gibt es eigentlich gar nicht so viel zu erzählen – es ist halt eine dieser statistischen Erkenntnisse, die den Fußballfan verblüffen. Der Doppelpass ist einer der großen Begriffe des Fußballs, kaum zu glauben, wie wenig erfolgreiche Doppelpässe in Wirklichkeit gespielt werden und wie wenig Einfluss sie auf die Spielergebnisse haben…

6. Manche Spieler können Bälle über 200 km/h schnell schießen

In meiner Jugend war es mehr oder weniger Allgemeinwissen, dass der Brasilianer Roberto Carlos Bälle bei Freistößen so hart schoss, dass sie mehr als 200 km/h schnell wurden; das war auch einer der bereits erwähnten „WM-2002-Fun Facts“. Als ich dann Jahre später las, ein gewisser Ronny sei Rekordhalter mit einem fast 210 km/h schnellen Schuss, war dieser Blog immer noch nicht einmal in der Planung – aber hätte es ihn damals schon gegeben, ich hätte wahrscheinlich tatsächlich recherchiert, unter der Annahme, dass Roberto Carlos in Wirklichkeit der Rekordhalter sei. Denn der, so „wusste“ ich ja, schoss regelmäßig 200 km/h-Schüsse – da war doch sicher auch mal einer mit mehr als 210 dabei gewesen? Man kann sich also meine Überraschung vorstellen, als ich erfuhr: Es ist physikalisch unmöglich, einen Fußball per Fußtritt derart zu beschleunigen. Roberto Carlos und Ronny, sie beide haben wohl von Messfehlern oder schlicht groben Geschwindigkeitsschätzungen profitiert…

5: Handball ist fairer als Fußball

Ich schau nicht so viel Handball. Ich finde es einfach nicht besonders interessant. Trotzdem: Die während jeder Handball-WM oder EM wieder durch Newsportale und Soziale Medien geisternde Behauptung, im Handball ginge es ja viel fairer zu als im Fußball und insbesondere gäbe es weniger Schwalben, habe ich immer als Tatsache hingenommen. Schließlich regt man sich beim Fußball ja ständig über die Unsportlichkeiten auf. Der Artikel, der letztlich als klassischer Irrtum-Artikel im Blog landete, sollte ursprünglich der erste Kommentar-Artikel werden – ein etwas anderer Blick auf den „Warum Handball geiler ist als Fußball“-Trend, der erklärt, warum im Fußball mehr geschwalbt wird, mehr Fouls stattfinden etc. und das mit seinen Stärken in Zusammenhang bringt. Dass wir bei der Recherche herausfanden, dass der fairere Handball eine rein gefühlte Wahrheit ist, die sich statistisch überhaupt nicht bestätigt, war eine große Überraschung…

4: Bernd Hölzenbein schwalbte im WM-Finale 1974

Wo wir schon bei Schwalben sind… Dass Deutschlands Elfmeter zum zwischenzeitlichen 1:1 im Finale der WM 1974 nur dank einer Schwalbe von Bernd Hölzenbein zustande kam, ist scheinbares Allgemeinwissen. Selbst deutsche Bücher zur WM-Geschichte beurteilen die Szene so, oft liest man sogar von einer „peinlichen“ oder „offensichtlichen“ Schwalbe. Wenn das selbst in Deutschland so gesehen wird, dann muss es ja stimmen, oder? Zu meiner Schande muss ich leider anmerken, dass ich die vermeintliche Schwalbe, die ich nie gesehen hatte, selbst oft angeführt habe – vor allem in „Wegen dem Wembley-Tor ist England gar nicht wirklich Weltmeister/ müsste das Finale von 1966 wiederholt werden“-Diskussionen in den sozialen Medien. Ich habe in solchen Diskussionen oft argumentiert, dass Deutschlands Titel ja auch mit Hilfe von fragwürdigen Entscheidungen errungen wurden – insbesondere 1974 mit der „lachhaften Schwalbe“ von Hölzenbein. Erst, als ich im letzten Jahr in Ronald Rengs Buch 1974 über die merkwürdigen Hintergründe der vermeintlich strittigen Szene las, sah ich mir die Situation auf YouTube an. Es war einer dieser Momente, in denen man völlig baff ist, wie falsch man sein Leben lang lag…

 3: Es spielt keine Rolle, ob Nationalspieler vor dem Spiel die Hymne mitsingen

Eines der nervigsten Phänomene in Fußballdiskussionen in den sozialen Medien ist die Instrumentalisierung von Ergebnissen und Ereignissen durch rechts-politische Kräfte. Nichts ist absurder, als Niederlagen der Nationalmannschaft darauf zu schieben, dass auf dem Trikot keine Nationalflagge abgebildet ist oder einige Spieler einen Migratonshintergrund haben. Ich kann es einfach nicht mehr lesen! Die meisten dieser Behauptungen sind klar widerlegt (die Nationalmannschaft etwa war mit Regenbogenbinde erfolgreicher als ohne) oder so dumm, dass man gar nicht weiß, wo man mit dem Widerlegen anfangen soll (Warum sollte es sich auf die Spielleistung auswirken, irgendwo ein bisschen Schwarz-Rot-Gold auf dem Trikot zu haben?). Da war es doch eine große Überraschung (und ich habe mich ein bisschen gesträubt, das zu glauben), dass tatsächlich Nationalmannschaften, die vor dem Spiel ihre Hymne singen, im Verhältnis erfolgreicher sind. Streng genommen stimmt das zwar auch nicht ganz – es spielt keine Rolle, welches Lied gesungen wird, sondern ob die Spieler sich damit identifizieren können – aber meine Annahme, dass es völlig egal sei, ob gesungen wird oder nicht, hat sich eindeutig als falsch erwiesen.

2: Mädchen profitieren davon, möglichst lange bei den Jungs mitzutrainieren

Oh mann, wie oft habe ich das als Mädchentrainer gehört: „Meine Tochter ist halt schon ein bisschen weiter, die ist durch die harte Schule der Jungenmannschaften gegangen“; „Ich hätte lieber, dass meine Tochter noch eine Weile bei den Jungs mitspielt, das bringt ihr mehr!“ Und auch ich selbst meinte, immer wieder die Erfahrung gemacht zu haben: Mädchen, die schon bei den Jungs mittrainiert haben, sind schneller, härter, besser als die anderen. Die Erkenntnis, nur einem klassischen Denkfehler aufgesessen zu sein – Mädchen sind nicht besser, weil sie sich bei den Jungs durchbeißen, Mädchen beißen sich bei den Jungs durch, weil sie besser sind – war für mich tatsächlich bewusstseinserweiternd.

1: Andy Möller sagte: „Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!“

Ja, dass das ultimative deutsche Fußballzitat ein Fake ist, dass Andy Möllers berühmtester Satz ihm nie über die Lippen kam, war für mich die größte Überraschung in der Arbeit an diesem Blog. Wer hätte gedacht, dass so ein Stück Grundlagenwissen des deutschen Fußballs einfach völlig falsch ist?

Das waren sie, die für mich größten Überraschungen unter den ersten 149 Irrtümern auf diesem Blog. Aber ich bin mir sicher, das auch unter den nächsten 150 wieder verblüffende Erkenntnisse zu finden sein werden – wir werden es erleben!

Welcher Fußball-Irrtum hat dich am meisten überrascht? Und welcher Irrtum aus dieser Top 10 ist für dich kalter Kaffee? Schreib es uns gerne in die Kommentare!

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